Privilegierte Baumaßnahmen machen Wünsche wahr

§ 20 Bauliche Veränderungen-Barrierereduzierung

Im Grundsatz gilt, dass jeder Eigentümer einen Rechtsanspruch auf die Umsetzung einer privilegierten Baumaßnahme hat. Selbst nicht körperlich oder geistig beeinträchtigte Eigentümer können Baumaßnahmen zur Barrierefreiheit zugunsten sonstiger Nutzer (Mieter, Besucher, Kunden….)  fordern, wenn sie die Kosten des Vorhabens selbst übernehmen. Die Gemeinschaft hat nicht über das „Ob“, sondern lediglich über das „Wie“ zu entscheiden.

Über die Voraussetzungen und Grenzen baulicher Veränderungen des Gemeinschaftseigentums hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am 09. Februar 2024 in zwei Verfahren entschieden.

Im Verfahren V ZR 244/22 geht es um die Errichtung eines Personenaufzugs im Hinterhaus eines ansonsten denkmalgeschützten, und mit einem Fassadenpreis der Stadt München bedachten, Wohnhauses. In der Eigentümerversammlung wird ein Antrag der nicht körperlich behinderten Kläger abgelehnt, ihnen auf eigene Kosten die Errichtung eines Außenaufzugs am Treppenhaus des Hinterhauses als Zugang für Menschen mit Behinderungen zu gestatten.

Das Amtsgericht hatte die Beschlussersetzungsklage abgewiesen, das LG München I meint, die Voraussetzungen des mit Inkrafttreten des WEMoG im Jahr 2020 neu geschaffenen Anspruchs einzelner Wohnungseigentümer auf Maßnahmen zur Barrierereduzierung lägen vor. Die Kläger könnten die Errichtung eines Personenaufzugs als privilegierte bauliche Veränderung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG verlangen; ein entsprechender Grundlagenbeschluss sei gerichtlich zu ersetzen. Soweit sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auf Nutzungseinschränkungen, optische Veränderungen oder baurechtliche Einwände berufe, stehe dies der Errichtung des Aufzuges nicht grundsätzlich entgegen. Wegen der Vielzahl von Gestaltungsvarianten könne man diese Einwände bei der noch zu treffenden Entscheidung über die konkrete Durchführung der baulichen Veränderung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 WEG) berücksichtigen, also über das „Wie“ entscheiden.

Das Verfahren V ZR 33/23 hat die Errichtung einer 65 Zentimeter erhöhten Terrasse nebst Zufahrtsrampe zum Inhalt. Die Anlage besteht aus drei miteinander verbundenen Häusern mit einer Gartenfläche, an der den Erdgeschosswohnungen zugewiesene Sondernutzungsrechte gebildet wurden. Nach der Teilungserklärung dürfen auf den Gartenflächen Terrassen in der Größe von maximal 1⁄3 der Fläche des jeweiligen Sondernutzungsrechts errichtet werden, die von einzelnen Eigentümern ebenerdig angelegt wurden. Die Eigentümerin begehrte neben der auszuschüttenden Terrasse und Rampe, das Doppelfenster durch einen Türdurchbruch zu ersetzen.

Die Wohnungseigentümer gestatteten ihr das Vorhaben als privilegierte Maßnahme gemäß § 20 Abs. 2 WEG. Hiergegen richtet sich die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage.

Das Amtsgericht hatte den Beschluss für ungültig erklärt. Die Berufung der Beklagten war erfolglos. Das Landgericht Köln schließt sich dieser Auffassung an und wertet die Klage als nicht begründet.

In beiden Verfahren hatten die Gerichte zu entscheiden, ob der jeweilige Eingriff in das Gemeinschaftseigentum eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage nach § 20 Abs. 4 WEG zur Folge hat. Der Prüfungsmaßstab richte sich allein nach § 20 Abs. 4 WEG.

  • Im Fall zum Personenaufzug sieht das Gericht keine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage.

Dies erfordere im Vergleich zu dem früheren Recht mehr als eine Änderung der Eigenart der Wohnanlage. Ausgehend von einem objektiven Vorher-Nachher-Vergleich und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls müsse die bauliche Veränderung der ganzen Anlage ein neues Gepräge geben. Davon könne bei der Errichtung eines Personenaufzugs für das im Gegensatz zum Vorderhaus eher schlicht gehaltene Hinterhaus nicht ausgegangen werden. Schließlich werde kein Wohnungseigentümer im Sinne von § 20 Abs. 4 WEG unbillig benachteiligt.

  • Die Bauausführung der Terrasse verändert nach Ansicht des Gerichtes den Charakter der Wohnanlage als Ganzes

Ob es sich um eine angemessene bauliche Veränderung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG handele, sei lediglich mittelbar bei der Frage einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage nach § 20 Abs. 4 WEG maßgeblich. Ausgehend von einem objektiven Vorher-Nachher-Vergleich werde vorliegend der Charakter der Anlage erheblich verändert. Eine von der Wohnung der Streithelferin aus begehbare Terrasse gebe der allenfalls mittleren Wohnstandards entsprechenden Anlage insgesamt ein neues, erheblich moderneres und luxuriöses Gepräge. In der Gesamtschau verändere sich nicht nur die Symmetrie des Hauses, sondern der Charakter der Wohnanlage als Ganzes. Eine andere Bewertung ergebe sich nicht aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt seien. Die gestattete Terrasse sei zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs zu der Wohnung weder erforderlich noch angemessen, insbesondere bestünden andere Möglichkeiten eines barrierefreien Zugangs, die mit geringeren Eingriffen in das Gebäude verbunden seien, so das Landgericht.

  • Handelt es sich um eine angemessene bauliche Veränderung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG?

Das Landgericht sieht die Forderung nach einem Aufzug als angemessene Maßnahme.  Mit dem Merkmal der Angemessenheit habe der Gesetzgeber bezweckt, im Einzelfall unangemessene Forderungen eines Wohnungseigentümers zurückweisen zu können. Eine privilegierte Maßnahme unter Berufung auf deren Unangemessenheit vollständig zu versagen, komme lediglich in atypischen Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor.

Im Gegensatz dazu stuft das Landgericht die Bedeutung der Angemessenheit als nachgeordnet ein. Der Prüfungsmaßstab richte sich bei der Anfechtung eines Beschlusses, mit dem – wie hier – einem einzelnen Wohnungseigentümer die Vornahme einer baulichen Veränderung gestattet werde, allein nach § 20 Abs. 4 WEG. Ob es sich um eine angemessene bauliche Veränderung im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG handele, sei lediglich mittelbar bei der Frage einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage nach § 20 Abs. 4 WEG maßgeblich.

Und was sagt der BGH?

Urteile vom 9. Februar 2024 – V ZR 244/22 und V ZR 33/23

Personenaufzug

Der Klage ist zu Recht stattgegeben worden. Die Grenzen einer zulässigen Bebauung wurden eingehalten. Wohnungseigentümer können eine bauliche Veränderung grundsätzlich auch dann beschließen, wenn die Beschlussfassung die Zuweisung einer ausschließlichen Nutzungsbefugnis (§ 21 Abs. 1 Satz 2 WEG) an dem dafür vorgesehenen Gemeinschaftseigentum zur Folge hat. 

Faktisch ist das nach meiner Auffassung ein neu gebildetes Sondernutzungsrecht am Gemeinschaftseigentum, oder gar die Bildung von Sondereigentum? Denn der §21 besagt, dass die bauliche Veränderung nur der nutzen darf, dem sie gestattet wurde, und der sie selbst bezahlt hat. 

Errichtung eines Personenaufzugs stellt eine angemessene bauliche Veränderung dar. Die Angemessenheit ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn mit der Maßnahme Nachteile verbunden sind, die über die Folgen hinausgehen, die typischerweise mit der Durchführung einer privilegierten baulichen Veränderung einhergehen.

Eingriffe in die Bausubstanz, übliche Nutzungseinschränkungen des Gemeinschaftseigentums und optische Veränderungen der Anlage etwa aufgrund von Anbauten können die Unangemessenheit daher regelmäßig nicht begründen. 

Der Gesetzgeber sieht die Angemessenheit als Regel an. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer muss darlegen können, warum ein atypischer Fall vorliegt. Hieran fehlt es. 

Es lässt sich auch keine unbillige Benachteiligung eines Wohnungseigentümers feststellen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass Verschattungen- und Lärmbeeinträchtigungen etwa durch den konkreten Standort der Aufzugsanlage, durch die Größe sowie die bauliche Gestaltung des Aufzugs einschließlich der verwendeten Materialien bis zu einem gewissen Grad noch bei der Entscheidung über die Art und Weise der Durchführung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 WEG) steuerbar sind.

Terrassenanbau

Die Revision hat Erfolg gehabt. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Anfechtungsklage abgewiesen. 

Die Rechtmäßigkeit des Beschlusses hängt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht davon ab, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 20 Abs. 2 WEG im Einzelnen vorliegen und ob die bauliche Veränderung insbesondere angemessen ist, ab.  Auf diese Voraussetzungen kommt es nur an, wenn der Individualanspruch des Wohnungseigentümers abgelehnt worden ist und sich dieser mit einer Anfechtungsklage gegen den Negativbeschluss wendet und/oder den Anspruch mit der Beschlussersetzungsklage weiterverfolgt, wie dies in dem Verfahren V ZR 244/22 (Personenaufzug) der Fall war.

Der Gesetzgeber hat durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz die Vorschriften über bauliche Veränderungen in §§ 20, 21 WEG neu gefasst und grundlegend geändert. Die Neuregelung dient unter anderem dem Zweck, den baulichen Zustand von Wohnungseigentumsanlagen leichter verbessern und an sich ändernde Gebrauchsbedürfnisse der Wohnungseigentümer anpassen zu können. Sie müssen mit ihrem Mehrheitsbeschluss dabei lediglich die Grenzen des § 20 Abs. 4 Halbs. 1 WEG, die bei jeder baulichen Veränderung einzuhalten sind, beachten.

Infolgedessen dürfen die Wohnungseigentümer eine bauliche Veränderung auch dann durch Mehrheitsbeschluss gestatten, wenn sie die in § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG geregelten Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen nicht als gegeben ansehen oder jedenfalls Zweifel hieran hegen.

Das Berufungsgericht hat zu Unrecht auf die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 WEG abgestellt.

Der Bundesgerichtshof hatte darüber zu entscheiden, ob mit der gestatteten baulichen Veränderung eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage im Sinne von § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 1 WEG verbunden ist. Diese Frage hat er verneint.

Nach nunmehr geltendem Recht ist bei einer Maßnahme, die der Verwirklichung eines Zweckes i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 WEG dient, eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage zumindest typischerweise nicht anzunehmen.

Der von dem Gesetzgeber im gesamtgesellschaftlichen Interesse erstrebten Privilegierung bestimmter Kategorien von Maßnahmen – unter anderem zur Förderung der Barrierefreiheit – ist bei der Prüfung, ob eine grundlegende Umgestaltung vorliegt, im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses Rechnung zu tragen.

Da die von den Wohnungseigentümern hier beschlossene bauliche Veränderung ihrer Kategorie nach dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WEG), bedürfte es besonderer Umstände, um eine grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage anzunehmen. Hieran fehlt es. Gestattet wird der Streithelferin lediglich die Errichtung eines untergeordneten Anbaus an ein bestehendes Gebäude einer Mehrhausanlage, wobei die Errichtung einer Terrasse schon nach der Teilungserklärung erlaubt ist.

Weil der in der Eigentümerversammlung vom 14. Oktober 2021 gefasste Beschluss auch im Übrigen keine Mängel aufweist, konnte in der Sache abschließend entschieden und die Klage abgewiesen werden. Durch die Gestattung der baulichen Veränderung wird kein Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligt i.S.d. § 20 Abs. 4 Halbs. 1 Alt. 2 WEG. Der Beschluss ist auch hinreichend bestimmt.